Lions-Preis für Wortakrobatik – „Lass mal mit dem NÄCHSTEN über LIEBE reden“

Neuwied-Andernach | 31. Dezember 2022 | Dr. Sylvia Brathuhn
Am 10. Dezember 2022 wurde im BigHouse in Neuwied der Lions-Förderpreis für Poetry-Slam vergeben: Zwei Frauen, drei Männer traten im öffentlichen Wettbewerb um den Förderpreis des Lions Club Neuwied-Andernach für das Jahr 2022 an. Keine Requisiten, eine leere Bühne, ein Mikrofon, sechs Minuten und eine bunte Mischung aus selbstverfassten Texten, Wortakrobatik und Lyrik.

„Das zentrale Anliegen der Lions in Neuwied und Andernach ist es in diesem Jahr junge Wege zu gehen und aufstrebenden Wortakrobat*innen nach der Corona-Zwangspause eine Plattform zu geben sowie sie zu fördern“, betonte der Präsident des Lions Clubs Kai Uwe Ritter in seiner Eröffnungsansprache. Poetry-Slam gilt als anregendes Literaturformat der Gegenwart.  Zu erwarten war bei dieser Veranstaltungsform alles von Prosa über Lyrik hin zu Sprechgesang und Storytelling. Die großen Stil- und Stimmungswechsel machen den literarischen Wettbewerb so einzigartig, und garantieren, dass jeden Geschmack etwas dabei ist.

Die Slammer*innen im Alter zwischen Ende 20 und Anfang 50 kamen aus ganz Deutschland, traten in mehreren Runden mit Spaß und Euphorie an, um den mit 2500,00 € Euro dotierten Preis in Empfang zu nehmen. Die Lions aus Neuwied-Andernach machten es zusätzlich spannend, indem sie in der ersten Runde das Thema vorgaben: Lions und Nächstenliebe. „Wenn wir offenen Auges durch unsere Welt gehen, können wir erkennen, wo Armut und Not herrschen. Hier zu helfen, und mit zugewandter Nächstenliebe das Lionsmotto „We Serve“ zu leben, ist das erklärte Ziel von Lions“, so Sylvia Brathuhn, die den gut besuchten Abend als sog. „Opferlamm“ – d. h. außerhalb des Wettbewerbs, zum „Einwärmen“ in den Abend – mit einem selbstverfassten Slam zum Thema „Lass mal mit dem NÄCHSTEN über LIEBE reden“ eröffnete.

An diesem abwechslungsreichen und spannenden Abend konnte auch „gelebte Nächstenliebe“ hautnah miterlebt werden. Die ursprünglich geplante Moderatorin Sarah Kunz, die seit über zehn Jahren den Poetry Slam in Neuwied organisiert und aktuell im Rahmen der Live Lounge Neuwied aktiv ist, erkrankte an Covid. Die nominierte Slammerin Kathi Hopf aus Koblenz sprang als Moderatorin ein und verzichtete dafür auf ihre Teilnahme am Wettbewerb und damit auf die Aussicht auf den begehrten Förderpreis. Ein Riesenapplaus war ihr Lohn.

Erstmals wählte für eine Förderpreisveranstaltung nicht eine Lions-Jury, die Sieger*innen aus, sondern das Publikum traf am Ende des Abends die Entscheidung per Akklamation. Der erste Platz des Lions-Förderpreises ging an die Slammerin Eva-Lisa Finzi aus Münster. Ihr Text ging unter die Haut und berührte auf geradem Wege die Herzen der ca. 150 Teilnehmer*innen. Der zweite Platz ging an Michael Goehre aus Essen auch er überzeugte durch seine klaren und klugen Worte. Das Fazit aller Anwesenden: „Jederzeit wieder!“

Opferlamm-Text Dr. Sylvia Brathuhnn

Lass mal mit dem NÄCHSTEN über LIEBE reden …

Doch wer ist der Nächste und was ist Liebe?

Fragen, die sonst ruhen, tauchen plötzlich auf, zeigen sich, schütteln mich, nehmen mich mit auf ihren unbekannten Lauf.

Wer ist der Nächste? Ist es der, der neben mir sitzt, in die gleiche Richtung schaut und doch nichts sieht

oder ist es der, den ich nicht kenne, doch dessen Antlitz mir zugewendet ist, der sich mir zeigt ohne Fassade, ohne Maskerade, nackt und pur angetrieben von Liebe und dem Wunsch da zu sein, Unterstützung zu leisten, aufzustehen gegen die Pein, die allerorts herrscht in dieser Welt, in einer Welt, in der für viel zu Viele sogar der ungeträumte Traum zu Staub zerfällt.

Die stummen Schreie der zu Vielen erreichen mich, durchtönen mich, ihre lautlose Verzweiflung kriecht mir pochend unter die Haut, disharmonisch, tonlos und zugleich verstörend laut.

Tat twam asi, so sagt es der Hindu in seinen Veden. Das bist Du. Du bist mein Bruder. Wir sind ein Wesen.

STOP!

Ich darf nicht wegschauen, darf mich nicht verblinden, darf nicht ignorieren, kapitulieren oder resignieren, auch verzagen oder Hoffnung auf Wandel einsargen, sind keine Optionen, denn Not lässt sich nicht auf morgen vertagen.

Not braucht das Jetzt. Not braucht Halt und Haltung. Not braucht den Nächsten und Not braucht Liebe.

Ergo: Not braucht Lions.

Ich bin ein Lion, lege mich nicht beim Grauen nieder, widersetze mich wieder und wieder … und ich stehe auf, widerstehe der Ohnmacht, die mich niederdrücken will, stelle mich ihr entgegen, stehe meine  Frau und sage: Lass mal mit dem Nächsten über Liebe reden.

Ja, es ist anstrengend sich zu widersetzen, kostet Kraft immer wieder aufzustehen, hinzuschauen, das Entsetzen zu spüren, das ganze erschreckende Elend zu sehen.

Im Kleinen Prinzen“ spricht der Fuchs: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar" … das Herz, ein Muskel, ein Organ, wiegt im Durchschnitt 300 Gramm,  es schlägt und pulsiert, es zweifelt und kämpft und liebt, es redet nicht, sondern sieht und durchschaut und blickt durch und verzeiht, alles, was an Schmerz und Leid, in dieser, unserer Welt peinigt und quält, wir alle können so viel tun, das ist es doch was zählt ...

Wir sind Lions, lass uns mit dem Nächsten über Liebe reden, es jedoch nicht nur bei Worten belassen, sondern Entscheidungen treffen, Entschlüsse fassen und gemeinsam das Notwendende tun für alle, die im Schatten leben, lass uns Armut mildern, Hunger stillen, lass uns Geflüchteten Heimat schenken, Obdachlosigkeit beheben, Freundschaften leben … und vor allem, lass uns in Fülle Liebe geben.

Liebe ist Lebensmittel, ist Quelle, ist Ziel und ist Kraft, Liebe ist es, die auf unserer Welt Wunder und Gutes schafft. Lass mal mit dem Nächsten über Liebe reden.

Text: Sylvia Brathuhn